Anmelden
Irgendetwas stimmt nicht. Ich fühle mich nicht gut. Weshalb ist mir so schwindelig? Wieso ist es so hell? Das Licht blendet mich. Ich fasse meine Schulfreundin an den Arm und sage ihr: „Irgendetwas stimmt nicht.“ Wenige Sekunden später kann ich mich nicht mehr auf den Beinen halten und falle völlig in die Arme meiner Freundin. Zeitgleich öffnen sich die Tramtüren und weitere Schulfreundinnen stützen mich, damit wir aus dem Tram steigen können. Ich kann immer noch nichts sehen. Das Licht ist einfach zu hell. Ich gerate noch mehr in Panik und beginne zu weinen. Ich schreie um mich herum, dass ich meine Arme und Beine nicht mehr spüren kann. Mein Herz rast und ich zittere. Ich habe die Kontrolle über meinen Körper vollkommen verloren. Was ist mit mir los? Was geschieht hier bloss? Einige Minuten später beruhige ich mich allmählich. Meine Arme und Beine fühlen sich stets noch ein wenig taub an - aber es ist besser. Mein Sehvermögen erlange ich langsam auch wieder. Was war das bloss? Ich verstehe überhaupt nicht, was in den vergangenen Minuten geschehen ist. Meine Freundinnen bringen mich zum Gleis und rufen gleichzeitig meine Eltern an. Nur noch eine dreiminütige Zugfahrt trennt mich von ihnen. Dann können sie mich im Arm halten und mir sagen, dass alles wieder gut wird. Das stimmt doch, es wird wieder alles gut oder?
Das war meine erste Panikattacke, mit etwa 14 Jahren. Noch heute begleiten mich Angstzustände und Panikattacken. Dazu jedoch später mehr. Ich will zunächst kurz erläutern, was man unter Angstzuständen und Panikattacken versteht.
Kampf oder Flucht?
Ängste sind nicht nur normal, sondern haben evolutionsbedingt einen natürlichen Hintergrund. In früheren Zeiten, als die Angst vor Schlangen zum Beispiel überlebensnotwendig war, haben sich diese Ängste manifestiert. Die physiologische Frage nach Kampf oder Flucht war dafür grundlegend. Menschen, die sich den Gefahren nicht bewusst waren und bei denen dementsprechend die Angst nicht ausgeprägt war, hatten geringe Überlebenschancen. Somit starben diese aus. Hingegen konnten Menschen mit einer zweckmässig ausgeprägten Angst überleben. Als Überlebensmechanismus wurde diese genetisch weitervererbt. Angst hat den Sinn und Zweck uns in bedrohlichen Situationen zu retten (Neurologen und Psychiater im Netz).
Angsterkrankungen entstehen, wenn diese Furcht ein zu grosses Ausmass erlangt und es dabei nicht um Leben und Tod geht. Panikstörungen gehören zum Überbegriff der Angsterkrankungen und zeichnen sich durch wiederkehrende schwere Angstanfälle aus. In der Beschreibung meiner ersten Panikattacke wurden einige körperliche und psychische Symptome ersichtlich. Als Übersicht hier eine Tabelle, welche die häufigsten Symptome abbildet.
Eine Panikattacke vergeht in der Regel nach einigen Minuten, jedoch ist dies sehr individuell, sodass sie auch mehrere Stunden andauern kann. Die Häufigkeit ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, sodass dies zwischen mehrmals täglich bis zu monatlich schwanken kann (Neurologen und Psychiater im Netz).
Hilfe ich habe das Gefühl zu sterben
Ein Zeitsprung - es ist das Jahr 2020. Anfangs habe ich von meiner ersten Panikattacke mit 14 Jahren erzählt nun bin ich 21 Jahre alt. Es ist Herbst und ich liege abends gemütlich in meinem Bett. Mein Handy halte ich in der Hand und ich scrolle durch den Feed von Instagram. Langsam entsteht eine innere Unruhe in mir. Zuerst ignoriere ich es, doch dann bekomme ich Mühe mit dem Atmen. Nun kann ich es nur noch schwer ignorieren. Ich setze mich auf und versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Es fällt mir sehr schwer und ein Kribbeln überschwemmt meinen Körper. „Oh Oh, jetzt wird es kommen.“, denke ich mir. Und so ist es. Wie eine riesige Welle übernimmt die Angst mich. Ich weine sehr fest, hyperventiliere und zittere am ganzen Körper. Meine Hände und Füsse sind eiskalt und gleichzeitig schweissnass. Meine Zimmertür steht offen und meine Schwester schaut beim Vorbeigehen gerade in mein Zimmer. Ich will sie zu mir rufen, denn ich brauche ihre Hilfe. Doch ich bringe kein Wort heraus. Mein Schmerz lähmt mich. Zum Glück merkt sie, dass etwas nicht stimmt und kommt sofort in mein Zimmer. Ein Schrei. Ein so unfassbar lauter, mit Angst erfüllter Schrei verlässt meinen Körper. Ich habe das Gefühl zu sterben. Meine Mutter stürmt ins Zimmer. Ich sacke zu Boden. Mein ganzer Körper schmerzt, zittert und ist verkrampft. Obwohl ich in diesem Moment jedes Zeitgefühl verloren habe, fühlt es sich nach einer Ewigkeit an. In Realität aber sind es nur 5 Minuten. Ich fühle mich aber nicht wie in der Realität, ich befinde mich in meiner eigens kreierten Hölle. Meine Schwester holt mir ein Coldpack und legt es mir auf die Handgelenke. „Deborah, schnuuf tüüf ii und us.“, sagt sie mir. Ich versuche regelmässig und tief zu atmen. Meine Pulsfrequenz sinkt wieder und das Zittern legt sich langsam. Körperlich hat diese Panikattacke mir die ganze Energie geraubt. Auch psychisch bin ich am Boden. Ich frage mich: „Wieso hatte ich nun wieder eine Panikattacke?“ Für mich war es schwierig nachzuvollziehen, denn ich hatte seit etwa zwei Jahren keine mehr. Und dann war sie auch noch so heftig. Ich bin ratlos. Doch ich versuche die Situation zu akzeptieren und mich auszuruhen. Durch die starke Verkrampfung schmerzt mein Körper im Nachhinein noch für Stunden.
Akzeptanz als erstes Schlüsselwort
Akzeptanz ist ein wichtiges Schlagwort oder besser gesagt es ist sogar ein essenzielles Schlüsselwort. Schon früh habe ich gelernt meine Panikattacken zu akzeptieren. Mit akzeptieren meine ich nicht sich damit abzufinden und so stehen zu lassen. Mit Akzeptanz meine ich, es als Teil von mir anzunehmen, aber es nicht als einziger Bestandteil meiner Person zu betrachten. Panikattacken definieren uns nicht, wir sind viel mehr als unsere Ängste. Ich habe gelernt, mir während einer Attacke folgendes zu sagen: „Okay sie ist nun da und ich akzeptiere sie. Sie wird vorübergehen und es wird nicht das Ende sein.“ Sich dem immer wieder bewusst zu werden, hat mir enorm geholfen.
Achtsamkeit als zweites Schlüsselwort
Das zweite essenzielle Schlüsselwort ist Achtsamkeit. Ich lerne immer mehr auf meinen Körper zu hören. Unser Körper spricht rund um die Uhr mit uns und umso besser wir ihn verstehen und auf ihn hören, desto weniger Schaden fügen wir uns zu. Unser Unterbewusstsein schickt Warnsignale an unseren bewussten Verstand. Diese Warnsignale sind dann zwar echte körperliche Symptome, jedoch sind unsere Organe und Körperregionen vollkommen gesund. Unsere Psyche will uns durch Signale, wie zum Beispiel Schwindel und Herzrasen, zeigen, dass wir etwas an unserem aktuellen Verhalten oder Denken verändern müssen. Desto zeitnaher wir auf solche Signale adäquat reagieren, umso schneller klingen die Symptome wieder ab. Wenn wir dies aber nicht tun, verstärkt der Körper die Signale, um uns zu warnen (Bernhardt, 2016, S.37).
Die Macht der Neurotransmitter
Die Symptome bei Panikattacken sind körperliche Reaktionen, die von unseren körpereigenen Botenstoffen, den Neurotransmittern, ausgelöst werden. Wenn wir Angst verspüren, wird der Neurotransmitter Adrenalin in den Nebennieren ausgeschüttet. Das Adrenalin lässt unseren Herzschlag erhöhen. Es wird allgemein dafür gesorgt, dass viele Nährstoffe und Sauerstoff in unseren Körper transportiert werden. Für die Reaktionen Kampf oder Flucht ist dies vor allem in den Armen und Beinen wichtig. Wenn man nun unter einer Angststörung leidet, befindet man sich nicht in einer akuten lebensbedrohlichen Situation. Man kämpft oder flieht dementsprechend auch nicht. Trotzdem hat aber unser Körper alles Mögliche daran gesetzt, genügend Nährstoffe und Sauerstoff zu transportieren. Dieser Überschuss wird dann durch das Kribbeln, Zittern, Schwitzen und vielem mehr abgebaut. Unser Körper kommt so wieder ins Gleichgewicht. Zusammenfassend kann man sagen, dass die psychosomatischen Symptome, die bei einer Panikattacke entstehen, völlig normal sind. Darüber hinaus signalisieren sie uns sogar, dass unser Körper in einem Ernstfall gut funktioniert (Bernhardt, 2016, S. 43-46).
Lerne deinen Körper kennen
Nun ist dies ja schön und gut zu wissen, dass unser Körper adäquat reagiert, wenn wir uns tatsächlich in Gefahr befinden. Jedoch wollen wir unsere Panikattacken gerne wegbekommen. Ich habe seit meiner ersten Panikattacke einige Techniken erlernt, die mir tatsächlich im Umgang damit helfen. Zuerst einmal sehe ich es als essenziell an, zu wissen und zu verstehen was in unserem Körper in solchen Momenten geschieht. Der kurze Einblick in die Welt der Neurotransmitter, den ich oben gegeben habe, ist ein guter Anfang. Ich selbst bin stets noch bemüht all die Vorgänge zu verstehen. Das Wissen über diese Prozesse in unserem Körper lässt uns verstehen, wieso unser Körper in bestimmten Situationen reagiert, wie er es tut. Dieses Wissen kann weitaus über die Problematik von Angstzuständen nützlich sein. Aber es kann eben genau auch im Umgang mit Panikattacken helfen. Ich bin der Meinung, dass wir so gut wie möglich versuchen sollten unseren Körper zu verstehen, um ihn mindestens so gut zu behandeln, wie er uns behandelt und dies unser Leben lang. Sobald man sich den Warnsignalen bewusst wird, kann man schon früher entsprechend reagieren. Ich persönlich achte mich mehr auf meinen Körper und meine Gefühlswelt. Wenn ich zum Beispiel eine innere Unruhe verspüre oder kalte Hände und Füsse habe, aber trotzdem schwitze, weiss ich, dass sind meine Warnsignale. Früher habe ich diese nicht erkannt oder sogar ignoriert und mein Körper musste mir dann in Form einer Panikattacke ein heftiges Zeichen setzen. Das war bei meiner letzten Panikattacke anders. Ich schildere euch diese als letzte eigene Erfahrung zum Schluss auch noch.
Achtsamkeit konkret angewendet
Es war ein Tag wie jeder andere. Ich war zu Hause und las einen Text für das Studium. Sowohl meine Hände wie auch meine Füsse waren eiskalt. Gleichzeitig hatte ich aber auch Schweissausbrüche. Ich konnte mich sehr schlecht konzentrieren und las dieselbe Seite immer und immer wieder. Und da merkte ich, mein Körper schickt mir Signale. Ich habe darauf gehört, den Text beiseitegelegt und eine Pause gemacht. Ich verliess mein Zimmer und ging in die Küche. Falls sich nun eine Panikattacke entfalten würde, wollte ich sie nicht in meinem Zimmer haben. Ich wollte eine physische Abgrenzung schaffen, damit ich Panik und Angst nicht mit meinem Zimmer assoziiere. Nun sass ich am Esstisch und wartete bis sich mein Überschuss an Energie in Form einer Panikattacke entlädt. Doch dies geschah nicht. Ich hatte zwar einige Warnsymptome, aber so richtig stark wie bei der letzten Erzählung brach die Attacke nicht aus. Zuerst war ich ein wenig perplex und auch enttäuscht. Wäre die Attacke in voller Wucht geschehen, hätte ich es hinter mir gehabt. Nun hatte ich Angst, dass sie sich einfach weiter hinauszögert. Doch dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Meine innere Unruhe ging allmählich zurück und die restlichen Warnsignale auch. Später konnte ich den Text zu Ende lesen und verspürte keine innere Unruhe mehr. Im Nachhinein sehe ich das als grosses Erfolgserlebnis an. Ich habe mich auf meinen Körper geachtet, habe entsprechend reagiert und eine Pause gemacht und die Panik verschwand letzten Endes.
Ich bin zwar noch nicht völlig Panikattacken frei und Angstzustände begleiten mich auch weiterhin, aber ich bin auf einem guten Weg. Ich lerne Tag für Tag meinen Körper und meine Psyche besser kennen und somit wird auch der Umgang mit der Angst besser. Folgende Frage stelle ich mir oft: Was könnten wir alles erreichen, wenn wir mehr auf unseren Körper hören würden? Diese Frage und mögliche Antworten darauf inspirieren und motivieren mich. Deshalb möchte ich dir, egal ob du unter Angstzuständen, etwas anderem oder unter nichts leidest, empfehlen auf eine Entdeckungsreise mit deinem Körper zu gehen. Wer weiss, was für Schätze du entdecken und für dich erobern wirst.
Deborah Miggiano, Universität Zürich
Du möchtest aktiv etwas in deinem Leben verändern? Sprich mit einem Profi darüber:
Literaturverzeichnis
Bernhardt, K. (2016). Panikattacken und andere Angststörungen loswerden. Wie die Hirnforschung hilft, Angst und Panik für immer zu besiegen. München: Random House.
Neurologen und Psychiater im Netz. (.) Angsterkrankungen: Ursachen. Zugriff am 26.1.2021. Verfügbar unter Angsterkrankungen: Ursachen - www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (neurologen-und-psychiater-im-netz.org).
Neurologen und Psychiater im Netz. (.) Was sind Angsterkrankungen. Zugriff am 26.1.2021. Verfügbar unter Was sind Angsterkrankungen? - www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (neurologen-und-psychiater-im-netz.org).