Anmelden
Die Menschheitsgeschichte ist vollgepackt mit Errungenschaften, die einem den Atem rauben. Der amerikanische Autor James Clear (2018) erzählt in seinem Buch folgende Geschichte des Künstlers Pablo Picasso. Picasso sitzt in einem Café in Paris. Unbeschwert kritzelt er scheinbar nebenbei eine kleine Zeichnung auf seine Serviette. Als er aufsteht und Anstalten macht, die kleine Malerei zu entsorgen, spricht ihn eine Frau an: “Entschuldigen Sie, ich kam nicht umhin, Ihre Zeichnung zu beobachten. Würden Sie sie mir verkaufen?” Der Künstler antwortet: “Natürlich. Das macht dann ”5000 Euro”. “Wie bitte?!”, erwidert die Frau, “Aber die Zeichnung hat doch keine 15 Minuten gedauert!”. “Das ist nicht ganz richtig”, meint der Maler, “es hat mich mein ganzes Leben gekostet, diese Zeichnung fertigzustellen”.
Vor ein paar Jahren hat der Profi-Athlet Eddie Hall einen Weltrekord aufgestellt. Als erste Person überhaupt bewältigte der Engländer 500 Kilogramm im Kreuzheben. Ja, du hast richtig gelesen. Eine. Halbe. Tonne. Wenn man von Picassos oder Eddie Halls Errungenschaften hört, kann man schnell den Schluss ziehen, dass die Männer einfach ein gewisses Talent besitzen. Zugegeben, dies erklärt vielleicht tatsächlich einen gewissen Prozentsatz der Erfolge, aber genau wie Picassos Zeichnung dauerte auch in Eddies Fall die effektive Handlung nur einen kurzen Moment. In weniger als zehn Sekunden hat der Mann eine halbe Tonne gehoben und sie wieder abgelegt. Das tönt fast schon lächerlich einfach, nicht wahr?
Meine Antwort mag überraschen: Ja, es ist ein Stück weit einfach. Nun kommt allerdings ein grosses “wenn”. Es ist einfach, wenn man bereits sein ganzes Leben dieser Profession gewidmet hat. Picasso hat bereits vor seiner Café-Kritzelei jahrzehntelang gemalt. Auch der britische Strongman arbeitete rund um die Uhr an seinem Ziel – umgeben von einem Team aus Therapeuten, Ernährungsberatern und Wissenschaftlern. Es ist einfach, die Frucht zu ernten. Es ist aufwändig, die Pflanze zu säen, zu giessen, zu pflegen und zu stutzen. Du weisst, worauf ich hinauswill.
Was steht nun zwischen einem “Normalo” und der halben Tonne?
Was macht es so schwer, für den Sechser im Abschlusszeugnis zu schuften oder den Körper für die herannahende Badesaison zu stählern? Gewisse Ziele sind sehr erstrebenswert, aber scheinbar unmöglich zu erreichen. Und wer sie erreicht, muss sie sich mit eiserner Willenskraft erarbeiten – so hat es manchmal den Anschein.
Motivationsvideos implizieren, dass die perfekte Morgenroutine um fünf Uhr mit einem Chia-Kokosnuss-Grünkohl-Kurkuma-Smoothie beginnen muss. Gefolgt von einem 3-stündigen Workout im hauseigenen Gym, versteht sich. Handelt es sich letzten Endes einfach eine wuchtige Motivationswelle, mit der nur eine Handvoll Menschen gesegnet sind? Oder muss man sich in fast schon masochistischer Manier durch die Morgenroutine prügeln, um erfolgreich zu sein? In Instagram-Stories oder Youtube-Videos lassen wir uns von Parolen wie “Just do it!” oder “Think positive!” berieseln und denken dann womöglich in einem Anflug von Inspiration: “Stimmt! So schwer kann das nicht sein!” Auf dem Sofa in der weichen Decke eingepackt und zwei Youtube-Videos weiter kann es jedoch plötzlich schwerfallen, “positiv zu denken” oder “es einfach zu tun”. Eine Strategie muss her. Was, wenn die genannte eiserne Willenskraft nicht der einzige Weg zum Ziel ist? Achtung, denn es wird unspektakulär.
Genauer gesagt, erschreckend unspektakulär, denn ich spreche vom Alltag, von der Routine, von kleinen Gewohnheiten. Sprichwörter wie “Wer den Rappen nicht ehrt, ist den Franken nicht wert” oder “Wie isst man einen Elefanten? Bissen um Bissen” haben wohl etwas an Wirkung verloren. Doch die Idee, dass die Akkumulation kleiner Verbesserungen zu grossen Resultaten führen kann, birgt Potenzial. Jeder Sportler erzielt schliesslich seine Leistung aufgrund einer Anhäufung von einzelnen, überschaubaren Trainingseinheiten. Es ist einfach, einmal ins Gym zu gehen. Es ist eine Herausforderung, diese Routine über Jahre aufrechtzuerhalten. Das Konzept der kleinen Verbesserung ist keinesfalls neu. Die Japaner nennen die Idee Kaizen (Kai: “Veränderung”, Zen: “zum Besseren”). Die Philosophie betont die Verbesserung im Sinne der Veränderung. Denn Veränderung ist unumgänglich und omnipräsent.
Eine Veränderung muss also her. Nun, das tönt immer noch ziemlich vage und liegt zugegebenermassen auch auf der Hand. Was sagt die Forschung dazu? Gibt es Strategien, die dabei helfen, kleinere Verbesserungen auch über eine längere Zeit konsequent umzusetzen? Die gute Antwort ist: Ja.
Dabei ist es besonders wichtig, den richtigen Fokus zu setzen. Lassen wir uns kurz auf der Zunge zergehen, was eine Gewohnheit überhaupt ist. Jede Gewohnheit besteht aus einem bestimmten Verhalten – bzw. mehreren systematisch zusammenhängenden Verhaltensweisen. Der amerikanische Psychologe B.J. Fogg (2019) unterteilt jedes Verhalten in drei Aspekte: Motivation, Fähigkeit und Auslöser. Ein Beispiel: Du willst dir die perfekte Sommerfigur antrainieren. Nun hast du möglicherweise die Motivation, gesund zu sein und gut auszusehen. Zudem brauchst du die Möglichkeit, ins Fitnesstraining zu gehen oder anderweitig sportlich aktiv zu sein. Zu guter Letzt: Jedes Verhalten folgt auf einen gewissen Auslöser. Verschiedene Modelle nennen diesen Aspekt “prompt” (Fogg, 2019), “cue” (Clear, 2018) oder “trigger” (Wrzus & Roberts, 2016). Gemeint ist ein Hinweisreiz aus der Umgebung, welcher ein Verhalten initiiert. Der Auslöser “Handy klingelt” führt beispielsweise zum Verhalten “auf das Handy schauen”. Der Auslöser “Schulglocke klingelt” bringt Schüler – idealerweise – dazu, das Verhalten “Aufmerksamkeit auf den Lehrer lenken” auszuführen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Jedes Verhalten besteht aus verschiedenen Aspekten und dabei gibt es immer einen Auslöser, der das Verhalten ankurbelt.
Die Psychologie – insbesondere die Motivationspsychologie – beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie neues Verhalten einfacher in den Alltag integriert werden kann. Mit anderen Worten: Wie man seinen Hintern weg von der Couch bewegen kann. Dabei können oben genannte Auslöser eine Rolle spielen. Die Annahme dahinter: Wenn ein Auslöser ein bestimmtes Verhalten einleitet, dann kann eine Veränderung des Auslösers zu einer Veränderung des Verhaltens führen. Ist das Handy plötzlich auf lautlos gestellt, fällt der Auslöser “Handy klingelt” umgehend weg und damit tritt das Verhalten “auf das Handy schauen” weniger oft auf. Umgekehrt kann ein zusätzlicher Auslöser dazu führen, ein erwünschtes Verhalten öfters zu zeigen. Ein Eintrag im Kalender macht beispielsweise klar, wann du das Training in deinem Alltag einplanen kannst, und erinnert dich zum entscheidenden Zeitpunkt.
Wie kann ich nun mein Ziel umsetzen?
Dazu sollte man berücksichtigen, dass es verschiedene Ebenen eines Ziels gibt. Längerfristig kann das Ziel sein, abzunehmen. Das ist allerdings noch zu unspezifisch. Um abzunehmen, ist eine Ansammlung von bestimmten Verhaltensweisen nötig. Beispielsweise gesünder zu essen oder mehr Sport zu treiben. Dies ist immer noch nicht konkret genug, aber jetzt kommen wir der Sache schon etwas näher. Ein konkretes Verhalten kann sein: Gemüse in den Warenkorb zu legen. Eine Möglichkeit, solche Auslöser mit einem spezifischen Verhalten zu verknüpfen, sind Durchführungsintentionen (Gollwitzer, 1999). Durchführungsintentionen bestehen aus drei Elementen: Sie definieren, wann, wo und wie eine Handlung stattfindet (Gollwitzer, 1999). Sie können helfen, spezifische Verhaltensweisen an eine Situation zu binden. Eine Durchführungsintention könnte somit wie folgt lauten: “Wenn ich nach der Arbeit (wann) den Supermarkt (wo) betrete, lege ich als erstes das Gemüse in den Warenkorb (wie)”.
Verschiedene Wirkmechanismen erklären, wieso Durchführungsintentionen so erfolgreich sind. Zum einen helfen sie, die Situation zu konkretisieren. Jedes noch so erfolgsversprechende Verhalten ist wirkungslos, wenn unklar ist, wann es zum Zug kommt. Mithilfe der Durchführungsintention wird das Szenario spezifisch (Webb & Sheeran, 2007). Zudem kann man auf Situationen aufmerksam werden, in denen man zuvor automatisiert eine ungewünschte Handlung ausgeführt hat (Achtziger, Bayer & Gollwitzer, 2012). Zum anderen helfen sie, das Verhalten zu konkretisieren. Wer schon einmal in einer fremden Stadt auf der Suche nach einer Sehenswürdigkeit die Orientierung verloren hat, der weiss: Das Ziel alleine reicht nicht aus – man muss auch wissen, wie man dorthin gelangt. Mithilfe einer Durchführungsintention ist nicht nur klar, welches Verhalten man ausführen will. Es fällt auch leichter, es unmittelbar (Gollwitzer & Brandstätter, 1997), zweckmässig (Brandstätter, Lengfelder & Gollwitzer, 2001) und unbewusst (Bayer, Achtziger, Gollwitzer & Moskowitz, 2009) auszuführen.
Idealerweise wird der kleine Vorsatz zur Gewohnheit. Eine Gewohnheit ist zwar uncool bis langweilig. Doch sie ist der Pflasterstein auf dem Weg zum Erfolg. Also: Denk positiv und tu es “einfach”, wenn du kannst! Wenn die Motivation allerdings nicht aufkommen will, fang klein an. Die Devise lautet: Die Verbesserung soll so gross wie möglich und so klein wie nötig sein.
Samuel Ammann, Universität Zürich
Du möchtest aktiv etwas in deinem Leben verändern? Sprich mit einem Profi darüber:
Quellen
Bild: Photo by Brendan Church on Unsplash
Achtziger, A., Bayer, U. C., & Gollwitzer, P. M. (2012). Committing to implementation intentions: Attention and memory effects for selected situational cues. Motivation and Emotion, 36, 287–300.
Clear, J. (2018). Atomic habits: An easy & proven way to build good habits & break bad ones. New York: Penguin Random House.
Fogg, B. J. (2019). Tiny habits: the small changes that change everything. Boston: Houghton Mifflin Harcourt.
Gollwitzer, P. M. (1999). Implementation intentions: Strong effects of simple plans. American Psychologist, 54(7), 493–503. doi:10.1037/0003-066X.54.7.493
Webb, T. and P. Sheeran: 2007, How do Implementation Intentions Promote Goal Attainment? A Test of Component Processes. Journal of Experimental Social Psychology, 43, 295–302.
Wrzus, C., & Roberts, B. W. (2016). Processes of Personality Development in Adulthood The TESSERA Framework. Personality and Social Psychology Review, 21(3), 253–277. doi:10.1177/1088868316652279