Anmelden
Ich will über ein relativ frisches Forschungsgebiet referieren, das sehr konkrete Anwendungen und Einfluss im Alltag potentiell jeder Person haben kann.
Wenn du eine Person bist, die gern ein Merkmal ihrer Persönlichkeit verändern möchte, obwohl du schon erwachsen bist und vielleicht denkst, dass die Zeit für eine Veränderung vergangen ist, dann wird dieser Beitrag dich interessieren.
Es geht in diesem Text in erster Linie um die absichtliche und zielorientierte Persönlichkeitsveränderung. Was bedeutet das genau, absichtlich und zielorientiert versuchen, die eigene Persönlichkeit zu verändern? Das bezieht sich auf aktive Bemühungen zur Selbstveränderung in eine bestimmte Richtung, die durch den Wunsch motiviert sind, anders zu sein, zu handeln und sich anders zu fühlen (Allemand & Flückiger, 2017; und Hudson & Fraley, 2017, zitiert von Stieger et al., 2020). Dieses Thema ist sehr aktuell und interessiert potentiell einen grossen Teil der Bevölkerung: Eine Studie von Hudson und Roberts fand, dass weniger als 13% der Menschen gleich bleiben wollten, wie sie schon waren: Die meisten hatten den Wunsch, etwas an verschiedenen Aspekten der eigenen Persönlichkeit zu verändern (2014, zitiert von Hudson & Fraley, 2015).
Aber bevor wir auf dieses spannende Thema eingehen, klären wir was man eigentlich unter dem Begriff „Persönlichkeit“ versteht. Die Persönlichkeit besteht aus verschiedenen Merkmalen, die relativ beständige Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster sind, die Menschen voneinander unterscheiden und in Situationen hervorgerufen werden, die Raum für individuelle Unterschiede lassen [freie Übersetzung] (Allemand & Flückiger, 2017, s. 477). Im Folgenden sind konkrete Beispiele solcher Muster aufgelistet:
Nun zu welchen Persönlichkeitsmerkmalen kann die Forschung uns konkret am meisten sagen? Nach einer Zeit, in der vielfältige, manchmal überlappende und kaum theoretisch strukturierte Persönlichkeitsskalen existierten, stimmt laut John, Naumann und Soto (2008) das Gebiet der Persönlichkeitsforschung heutzutage hauptsächlich mit der Taxonomie der Big Five Dimensionen überein. Dieses Modell enthält fünf Persönlichkeitsmerkmale, die sich jeweils auf individuelle Unterschiede in der Neigung beziehen:
Das Modell der Big Five soll nicht als ausschliessend verstanden werden. Es umfasst nicht alle möglichen Dimensionen der Persönlichkeit. Dieses Modell ist aber dasjenige mit der umfangreichsten empirischen Unterstützung. Deswegen werde ich mich darauf beziehen.
Wenn man über Persönlichkeitsveränderung redet, muss man sich zuerst fragen, ob sich die Persönlichkeit überhaupt verändert bzw. verändern lässt. Die Definition selbst der Persönlichkeit deutet darauf hin, dass ihre Dimensionen über die Zeit und Situationen hinweg eine gewisse Stabilität aufweisen. Die Frage der Veränderbarkeit ist besonders relevant wenn man über Erwachsene redet, da sich die Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster eines Erwachsenen relativ stabilisiert haben und zur Gewohnheit geworden sind. Nichtsdestotrotz haben sich in den letzten Jahren immer mehr Befunde ergeben, die auf eine gewisse Flexibilität der Persönlichkeit auch im Erwachsenenalter hinweisen. Zum Beispiel zeigten Hudson et al., dass wenn sich Personen für einen neuen Job engagieren, dann neigen sie dazu, gewissenhafter zu werden (2012, zitiert von Hudson & Fraley, 2015). Ähnlich fanden Lenhart et al., dass das Investieren in eine Liebesbeziehung mit erhöhter emotionaler Stabilität verbunden ist (2010, zitiert von Hudson & Fraley, 2015).
Dies sind alle Beispiele, bei denen eine Dimension der Persönlichkeit durch ein externes Ereignis modifiziert wird. Können aber Menschen die eigene Persönlichkeit willentlich und zielgerichtet verändern? Und vor allem können sie es über einen kurzen Zeitraum?
Neuere Studien weisen tatsächlich darauf hin, dass sich die Persönlichkeit nicht nur im Erwachsenenalter verändert, sondern dass eine solche Veränderung aus eigenem Willen erfolgen kann, und dies über einen relativ kurzen Zeitraum. Hudson und Fraley fanden, dass Personen, die einen grösseren Wunsch hatten, irgendwelche Dimension der Big Five zu verändern, tatsächlich nach 16 Wochen grössere Veränderungen in der jeweiligen Dimension zeigten als Personen, die es sich nicht wünschten (2015). Stieger et al. (2020) konnten ähnliche Ergebnisse sogar durch eine 2-wöchige Intervention erzielen. Zudem zeigt sich die Wirksamkeit nicht nur bei spezifischen Merkmalen. In der Tat, waren Interventionen für die willentliche Persönlichkeitsveränderung für alle Big Five erfolgreich: Hudson und Fraley fanden Veränderungen bei allen der jeweils gezielten 5 Dimensionen, Hudson et al. bei der Dimensionen der Extraversion, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit (2019) und Stieger et al. bei Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrung (2020).
Nun wissen wir, dass es überhaupt möglich ist, die eigene Persönlichkeit zu verändern. Aber wie funktioniert es genau?
Das hierarchische Modell von Allemand und Flückiger (2017, angepasst von Rosenberg, 1998, s. 254, und Roberts & Pomerantz, 2004, s. 408) zeigt, wie unterschiedliche Persönlichkeitskonstrukte miteinander in Beziehung stehen und weist drei verschiedene Strategien zur Veränderung der Persönlichkeit auf, je nachdem, auf welcher Ebene man eingreift.
Gemäss diesem Modell strukturieren sich Persönlichkeitskonstrukte folgendermassen: auf der breitesten Ebene befinden sich Konstrukte die am stabilsten sind, die sogenannten Traits (z.B., Extraversion, Neurotizismus), die eben über verschiedene Situationen hinweg stabil sind. Auf der mittleren Ebene finden sich hingegen Konstrukte, die leichter veränderbar und anfällig für Umwelteinflüsse sind, die hier genannten Habits (es gehören dazu z.B. Stimmungen, Rollenidentitäten, Bindungsmuster, Selbstregulation, Arbeitszufriedenheit oder noch Selbstwertgefühl. Auf der engsten Ebene befinden sich States, die noch mehr durch Situationen bestimmt werden und unstabiler sind als Habits; States beziehen sich darauf, wie Menschen denken, fühlen und sich in einer spezifischen Situation im Alltag verhalten (z.B. „spezifische und temporäre Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen, von momentanen Zielen und Situationen abhängig“.
Abbildung 1. Hierarchisches Modell von Allemand und Flückiger (2017, angepasst von Rosenberg, 1998, s. 254, und Roberts & Pomerantz, 2004, s. 408)
Wie interagieren nun diese Ebenen miteinander?
Die Idee des Modells ist, dass die grössten Einflüsse top-down Effekte sind, und zwar, dass die Traits sich auf Habits und States auswirken, wie die durchgezogenen Pfeile zeigen. Ein Beispiel für ein top-down Effekt wäre, dass Anxiety als Trait die Schwelle für das Erleben ängstlicher Emotionen senkt und diese begünstigt (Rosenberg, 1998). Und noch: wenn man in einem gereizten Stimmung ist, dann ist es leichter, Wut zu empfinden (Ekman, 1984, 1994, zitiert von Rosenberg, 1998). Das Modell nimmt jedoch an, dass es bottom-up Effekte auch gibt (wie die gestrichelten Linien zeigen), und zwar von der engsten Ebene der States auf die breiteren Ebenen der Habits und dann der Traits. Die Idee ist da, dass wenn ein State immer wieder erlebt/ausgeführt und verstärkt wird, dann kann er erlernt, gewöhnt und automatisiert werden und dadurch im Endeffekt die Traits modifizieren. Beispiel dafür ist wenn eine Stimmung aus den Spuren von Emotionen resultiert: das wiederholte Erleben von Freude kann eine positive Stimmung entstehen lassen! (Davidson, 1994; Ekman, 1984, beide zitiert von Rosenberg, 1998). Und dies würde schliesslich Veränderungen auf der Traits-Ebene bewirken.
Interventionsebenen
Um ein Persönlichkeitsmerkmal zu verändern, könnte man direkt auf die Traits eingreifen. Dafür würde man viel Zeit und eine mächtige Intervention brauchen, weil man mit patterns von Verhaltensweisen, Gedanken und Emotionen zu tun hätte, und nicht nur mit einigen spezifischen Verhaltensweisen, Gedanken und Emotionen (Allemand & Flückiger, 2017). Darum ist dieses Vorgehen für Massnahmen über kurzen Zeitraum ungeeignet.
Was man auf der anderen Seite aber machen kann, ist auf die States einzuwirken, und zwar versuchen, zuerst eine einzige spezifische Verhaltensweise in einer bestimmten Situation zu verändern. Wenn die bestimmte Verhaltensweise immer wieder ausgeführt und verstärkt wird, dann kann sie gelernt, automatisiert und zur Gewohnheit werden und dadurch im Endeffekt die Traits modifizieren.
Wie macht man das? Wie können Menschen konkret versuchen, über einen kurzen Zeitraum auf die States einzuwirken und ihre Persönlichkeit zu verändern?
Jemand, der konkret versuchen will, seine Persönlichkeit über einen kurzen Zeitraum zu verändern, soll relevante Verhaltensweisen üben. Relevante Verhaltensweisen sind prototypische Verhaltensweise einer Person, die hoch im jeweiligen gewünschten Trait abschneidet.
In der Tat, reicht der Wille zur Veränderung nicht aus: es muss eine aktive und erfolgreiche Implementierung relevanter Verhaltensweisen geben (Hudson et al., 2019). Wieso? Weil durch das Üben die gezielten Verhaltensweisen schrittweise gelernt und beherrscht werden, und dadurch nimmt die Überzeugung der Person über ihre Fähigkeit zu, bestimmte Verhaltensweisen ausführen zu können und dadurch werden Situationen von ihr neu beurteilt. Die neuen Verhaltensweisen werden so verstärkt, und wenn sie dann immer wieder wiederholt werden, werden sie zur Gewohnheit und das kann zu Persönlichkeitsveränderung führen (Allemand & Flückiger, 2017).
Die Mechanismen, durch die, eine Persönlichkeitsveränderung erfolgen kann, sind nun klar, aber wie kann man Menschen konkret bei einer gezielten Persönlichkeitsveränderung unterstützen? Wie kann man Leuten helfen, diese Lücke zwischen dem Willen und dem Einüben zu schliessen?
Man kann den Leuten mit Implementierungsintentionen helfen, die Bildung möglichst spezifischer Implementierungsintentionen, wie z.B. "Wenn ich auf Situation X treffe, dann werde ich Y tun", ist für die Zielerreichung am wirksamsten (Gollwitzer & Brandstätter, 1977). Anders gesagt: man kann mit den Leuten die Zielformulierung optimieren. Eine Intervention zur Persönlichkeitsveränderung kann dann effizient sein, wenn Ziele konkret, spezifisch und in kleinen Schritten formuliert werden (Hudson & Fraley, 2015). Der Leiter einer Intervention zur willentlichen Persönlichkeitsveränderung kann hilfreich sein, indem er gewährleistet, dass die von den interessierten Personen formulierten Ziele alle oben genannten Bedingungen erfüllen.
Abschliessend, gibt es immer mehr Studien, die sich darauf fokussieren, inwiefern ein Individuum die eigene Persönlichkeit zielgerichtet verändern kann, auf welche Art es überhaupt möglich ist, und wie man Leuten bei dieser zielorientierten Veränderung unterstützen kann.
Es werden immer mehr Interventionen entwickelt, um Leute bei solcher Persönlichkeitsveränderungen zu unterstützen. Interventionen mit vorgeschlagenen Herausforderungen, Interventionen mit individualisiertem Coaching, mit SMART Zielsetzung, oder Interventionen mittels einer App.
Es handelt sich zwar um ein frisches Forschungsgebiet, aber alles weist darauf hin, dass die willentliche und zielorientierte Persönlichkeitsveränderung möglich ist. Weitere Befunde sind nötig, um genauer zu verstehen, inwiefern diese Veränderungen bestehend bleiben und unter welchen Umständen am erfolgreichsten sein können. Aber das wichtigste ist, dass, unabhängig davon, welche Persönlichkeitsdimension man verändern will. Auch im Erwachsenenalter und über einen relativ kurzen Zeitraum, kann man personalisierte Interventionen aufbauen, die die Personen dabei unterstützen, eine Persönlichkeitsveränderung in die gewünschte Richtung zu steuern.
Luca Ferretti, Universität Zürich
Du möchtest aktiv etwas in deinem Leben verändern? Sprich mit einem Profi darüber:
LITERATURVERZEICHNIS
- Allemand, M., & Flückiger, C. (2017). Changing personality traits: Some considerations from psychotherapy process-outcome research for intervention efforts on intentional personality change. Journal of Psychotherapy Integration, 27(4), 476.
- Gollwitzer, P. M., & Brandstätter, V. (1997). Implementation intentions and effective goal pursuit. Journal of personality and social psychology, 73(1), 186.
- Hudson, N. W., Briley, D. A., Chopik, W. J., & Derringer, J. (2019). You have to follow through: Attaining behavioral change goals predicts volitional personality change. Journal of Personality and Social Psychology,117(4), 839.
- Hudson, N. W., & Fraley, R. C. (2015). Volitional personality trait change: Can people choose to change their personality traits?. Journal of personality and social psychology, 109(3), 490.
- John, O. P., Naumann, L. P., & Soto, C. J. (2008). Paradigm shift to the integrative big five trait taxonomy. Handbook of personality: Theory and research, 3(2), 114-158.
- John, O. P., & Srivastava, S. (1999). The Big Five trait taxonomy: History, measurement, and theoretical perspectives. Handbook of personality: Theory and research, 2(1999), 102-138.
- Roberts, B. W., & Pomerantz, E. M. (2004). On traits, situations, and their integration: A developmental perspective. Personality and Social Psychology Review, 8(4), 402-416.
- Rosenberg, E. L. (1998). Levels of analysis and the organization of affect. Review of general psychology, 2(3), 247-270.
- Stieger, M., Wepfer, S., Rüegger, D., Kowatsch, T., Roberts, B. W., & Allemand, M. (2020). Becoming More Conscientious or More Open to Experience? Effects of a Two‐Week Smartphone‐Based Intervention for Personality Change. European Journal of Personality.