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Überforderung, Stress, Burnout: Wir alle hören ständig davon und erleben es sogar selbst. In der Schweiz hat jede vierte erwerbstätige Person Stress auf der Arbeit, Tendenz steigend! (Job-Stress-Index, 2018). Stress bezeichnet ein Ungleichgewicht zwischen den erfahrenen Belastungen und den verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten. Oft können wir gerade die Belastungen auf der Arbeit oder das Verhalten unserer Kollegen/ Kolleginnen und Vorgesetzten nicht beeinflussen. Also was können wir tun?
Auch innerhalb der Positiven Psychologie fragen sich die Wissenschaftler:innen, wie der Stress reduziert und das Wohlbefinden gesteigert werden kann. Dafür wurden sogenannte Positive Interventionen entwickelt und in mehreren Studien untersucht. Jetzt kommt die gute Nachricht: Wir können durch Übungen im Rahmen Positiver Interventionen unsere individuellen Ressourcen stärken und unsere Arbeitszufriedenheit erhöhen!
Was macht Positive Interventionen effektiv?
Abbildung 1
Nach der Broaden-and-Build-Theorie (Fredrickson,1998) führt die Erfahrung positiver Emotionen, wie Freude oder Mitgefühl zu einer Erweiterung der subjektiven Möglichkeiten zu denken und zu handeln. Positive Emotionen erweitern also unser Inventar der Gedanken und Handlungsspielräume. Das fördert wiederum den Aufbau unserer Ressourcen, die das Erleben von Wohlbefinden begünstigen. Zu den psychologischen Ressourcen gehören beispielsweise die Fähigkeit, optimistischere Perspektiven zu wählen, sich selbst aus dem Grübeln herauszuholen oder den hektischen Zeitplänen standzuhalten, ohne ein Burnout zu erleben. Diese erhöhten Ressourcen können zu einer grösseren Resilienz gegenüber Stress führen. Die aufgebaute Resilienz fördert das individuelle Wohlbefinden und Gesundheit, was wiederum zu mehr positiven Emotionen führt (Fredricksons 1998). In diesem Zusammenhang wird in der Literatur oft die Metapher der „Aufwärtsspirale“ genutzt. Die Metapher soll verdeutlichen, dass mehr Erfahrungen mit positiven Emotionen mit dem Aufbau anhaltender psychischer Ressourcen einhergehen, bis hin zu einer Veränderung zu mehr Wohlbefinden und Gesundheit (Fredrickson, 1998; Garland et al., 2010).
Die Konzentration auf die positiven Emotionen innerhalb von Positiven Interventionen bedeutet jedoch nicht die Unterdrückung von negativen Emotionen. Es geht vielmehr darum, negative Ereignisse so umzustrukturieren oder zu interpretieren, dass daraus positive Erkenntnisse für die Zukunft gezogen werden können.
Was heisst das konkret bezogen auf den Arbeitsplatz?
Oftmals richten wir unsere Aufmerksamkeit eher auf die negativen statt auf die positiven Ereignisse im Arbeitsalltag (Britton, 2008). Ohne Umstrukturierung führt der Fokus auf negative Ereignisse zu einem höheren Ausmass an negativen Emotionen bei Personen. Deswegen ist es wichtig zu lernen, sich gezielt auf die positiven Erfahrungen am Tag zu konzentrieren, um so das individuelle Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu steigern (Britton, 2008). Beispielsweise kann ein Lob einer Vorgesetzten zu Freude, Stolz und damit positiven Emotionen führen. Die Ausführung einer unangenehmen Arbeit hingegen kann zu Ärger, Frustration und damit zu negativen Emotionen führen. Beide Reaktionen beeinflussen dann auf unterschiedliche Weise die Arbeitszufriedenheit und das Verhalten: Ein hohes Ausmass an positiven Emotionen führt zu einer positiveren Bewertung der Arbeit und somit zu einer erhöhten Arbeitszufriedenheit und Arbeitseffizienz. Ein hohes Ausmass an negativen Emotionen führt hingegen zu einer negativeren Bewertung der Arbeit und schliesslich zu geringerer Arbeitszufriedenheit und individueller Arbeitseffizienz.
PERMA-Modell
Innerhalb der Positiven Interventionen gibt es verschiedene Methoden, um positive emotionale Veränderungen bei Individuen zu erreichen. Im Arbeitskontext werden dabei vor allem die Faktoren und Prozesse analysiert, welche die individuelle Arbeitszufriedenheit und -effizienz erhöhen und Stress am Arbeitsplatz reduzieren (Donaldson, Lee, & Donaldson, 2019; Britton, 2008).
Positive Interventionen, die das Wohlbefinden der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz fördern wollen, basieren oft auf dem sogenannten PERMA-Modell von Seligman (2011).
Abbildung 2
Positive Emotions: Positive Emotionen wie Dankbarkeit, Freude, Geborgenheit und Wärme senken das Stresslevel und lassen uns fokussiert und motiviert arbeiten.
Engagement: Wenn wir unsere Stärken im Job einsetzen, erreichen wir einen Flowzustand inklusive Dopaminausschüttung im Gehirn, was dazu führt, dass wir den Job engagiert und mit Hingabe machen. Wenn du deine Charakterstärken herausfinden möchtest, haben Forschende in der Psychologie der Universität Zürich auf charakterstaerken.org einen interessanten Fragebogen auf Basis der Positiven Psychologie (VIA-IS) entwickelt, zu dem du kostenlosen Zugang hast.
Relationships: Positive, konstruktive Beziehungen mit Führungskräften und Kollegen/ Kolleginnen lassen ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Vertrauenskultur entstehen. Erfolge verstärken sich, wenn man sie mit anderen teilen kann – und sie stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Meaning: Das Gefühl, Teil eines grösseren Ganzen zu sein und Sinn in der eigenen Tätigkeit zu sehen, führt zu intrinsischer Motivation.
Achievement: Die Zielerreichung ist wesentlich für bleibende Motivation – sie aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn. Wenn wir klare, erreichbare Ziele vor Augen haben, arbeiten wir produktiver und motivierter.
Zum selber ausprobieren stelle ich schliesslich zwei Interventionen vor, die Positive Emotionen evozieren sollen:
Erste Positive Intervention: Drei-Gute-Dinge
Eine bereits oft getestete und eher traditionelle Form von Positiven Interventionen und ihre Wirkung auf Wohlbefinden ist die „Drei gute Dinge“ – Positive Intervention (Seligman et al., 2005). Diese wurde bereits in sämtlichen Studien mit signifikant positiven Effekten zur Steigerung der Lebenszufriedenheit und Erhöhung von positiven Emotionen, wie Freude in Zusammenhang gebracht (Mongrain & Anselmo-Matthews, 2012). Auf Grundlage des PERMA-Modells sollen positive Emotionen erlebt werden, um Arbeitseffizienz und Arbeitszufriedenheit zu erhöhen. Dabei kannst Du drei gute Dinge aufschreiben, die Dir im Verlauf der letzten Woche am Arbeitsplatz passiert sind. Diese positiven Gedanken und damit verbunden Emotionen sollten auf Dauer Dein Wohlbefinden am Arbeitsplatz steigern.
Abbildung 3
Zweite Positive Intervention: Achtsames Selbstmitgefühl
Neben der ersten und eher traditionellen Form von PPIs zur Förderung vom positiven Denken wird auch eine PPI zum achtsamen Selbstmitgefühl bei wissenschaftlichen Mitarbeitenden durchgeführt. Das Konzept des Selbstmitgefühls wurde vor allem durch die Definition von Neff (2003a, 2003b) innerhalb der Achtsamkeitsforschung geprägt. In ihrer Arbeit beschreibt sie eine gesunde Haltung gegenüber dem Selbst, die sich von den vereinfachten Vorstellungen des Selbstwertgefühls entfernt. Nach eingehender Beschäftigung mit der buddhistischen Psychologie hat Neff (2003a) drei Komponenten des Selbstmitgefühls artikuliert: Selbstliebe, menschliche Verbundenheit und Achtsamkeit. Selbstliebe wird als die Fähigkeit beschrieben, sich selbst und den eigenen Fehlern und Schwächen mit Güte, Verständnis und Geduld, statt mit Selbstkritik zu begegnen. Menschliche Verbundenheit ist die zweite Komponente, bei der negative Erfahrungen als ganz normaler Teil der menschlichen Existenz erkannt werden und nicht als etwas, was die eigene Person von anderen trennt und unterscheidet. Und drittens postuliert Neff (2003a) Achtsamkeit im Umgang mit negativen Emotionen und Gedanken: Die Fähigkeit, diese zu akzeptieren, die eigene Aufmerksamkeit auf Erfahrungen im gegenwärtigen Moment zu lenken und zwar auf eine nicht wertende Art und Weise. Diese Qualitäten seien ein wesentlicher Bestandteil eines gesunden Selbstmitgefühls und können jemanden in die Lage versetzen, die eigenen Emotionen angesichts von Schwierigkeiten zu bewältigen. Eine geringe Ausprägung von Selbstmitgefühl ist dagegen von weiteren drei Komponenten und zwar der Selbstkritik, Isolation und Überidentifikation gekennzeichnet.
Abbildung 4
Achtsames Selbstmitgefühl kombiniert die Fertigkeiten von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl, um unsere Fähigkeit zu Wohlbefinden zu stärken. Achtsamkeit ist der erste Schritt, uns schwierigen Erfahrungen (Gedanken, Gefühlen und Empfindungen) bewusst zuzuwenden. Ihr folgt das Selbstmitgefühl, nämlich uns selbst in leidvollen Situationen wie einem*r Freund*in mitfühlend zu begegnen. Studien zeigen, dass es ca. dreiviertel der Bevölkerung in entwickelten Ländern leichter fällt, mitfühlender mit anderen Menschen als mit sich selbst umzugehen (Neff, 2003a). Durch achtsames Selbstmitgefühl können wir erlernen uns selbst gegenüber, die Haltung eines*r guten Freundes*in einzunehmen und uns selbst das gleiche Mitgefühl entgegenzubringen, wie unseren Mitmenschen (Neff, 2011). In Studien konnte gezeigt werden, dass Interventionen zum achtsamen Selbstmitgefühl vor allem negative Emotionen reduzieren (Johnson und O'Brien, 2013; Mosewich, Crocker, Kowalski, & DeLongis, 2013; Przezdziecki und Sherman, 2016).
Wirken positive Interventionen bei jedem?
Natürlich kommen die positiven Effekte nicht von heute auf morgen zustande. Der Erfolg der Übungen hängt massgeblich von der Motivation und der Häufigkeit ab. Trotzdem zeigt schon eine regelmässige Durchführung der Intervention von einmal in der Woche einen wesentlichen Effekt (Lyubomirsky, Sheldon, & Schkade, 2005). Auch der Zeitpunkt kann eine Rolle spielen. Eine der Übungen unmittelbar nach einem unangenehmen Erlebnis auf der Arbeit auszuführen, kann schnell Abhilfe schaffen. Dafür würde ich die Intervention zum achtsamen Selbstmitgefühl empfehlen, da negative Emotionen so zunächst reduziert werden können. Die Reflexion über die positiven Erlebnisse während der Arbeitswoche mithilfe der Drei-Gute-Dinge-Intervention kann langfristig zu mehr positiven Emotionen und Wohlbefinden am Arbeitsplatz führen. Die Interventionen können auch variiert werden. Zum Beispiel kann bei der Intervention zum achtsamen Selbstmitgefühl an eine bestimmte wohlwollende*r Freund*in oder Familienmitglied gedacht, und beim Verfassen der mitfühlenden Sätze überlegt werden, was diese bestimmte Person einem sagen würde. Anstelle der drei positiven Dinge kannst du Dir überlegen, für welche der drei Dinge du während der Woche auf der Arbeit dankbar warst. Langfristig hilft dir die Ausübung der Interventionen negative Ereignisse aus einer bestimmten Perspektive zu betrachten.
Im Rahmen der Positiven Psychologie gibt es auch Forschung zu positiver Führung und sogenannten positiven Unternehmen, mit dem Ziel die Mitarbeitenden mit ihren Stärken zu erkennen und die Stärken konsequent einzusetzen und weiterzuentwickeln. Bis heute werden die Ansätze in der Wirtschaftspraxis kaum angewendet. Viele Studien legen jedoch nahe, dass ein enormes Potenzial besteht zwischen dem Zusammenhang von Positiven Interventionen und der Arbeitszufriedenheit sowie Arbeitsleistungsfähigkeit.
Die Interventionen können je nach Leidensdruck eine Therapie nicht ersetzen, jedoch unterstützend wirken und auch im Rahmen einer Therapie angewendet werden. Es lohnt sich es auszuprobieren.
Angela Pape, Universität Zürich
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Literatur
Britton, K. (2008). Increasing job satisfaction: Coaching with evidence-based
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Practice, 1(2), 176-185.
Donaldson, S. I., Lee, J. Y., & Donaldson, S. I. (2019). Evaluating positive psychology
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Upward spirals of positive emotions counter downward spirals of negativity: Insights
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emotion dysfunctions and deficits in psychopathology. Clinical psychology
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Job-Stress- Index 2018. Kennzahlen zum Stress bei
Erwerbstätigen in der Schweiz.
Faktenblatt 34. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz.
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