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Viele Menschen bevorzugen psychologische Hilfe bei jemandem, der ihre Sprache und Herkunft teilt. Schweizer Plattformen für die Vermittlung von Fachleuten für psychische Gesundheit bieten häufig ein Verzeichnis fremdsprachiger Psychotherapeutinnen an; darunter werden Lands- sowie weitere Sprachen aufgeführt. Sprache und Kultur scheinen entscheidend zu sein, wenn es darum geht, Zugang zur inneren Psyche zu finden.
Die sprachliche und kulturelle Übereinstimmung zwischen Psychotherapeutin und Klientin sollte Verständnis und Vertrauen fördern. Die Möglichkeit, in der Muttersprache kommunizieren zu können, erleichtert zudem den Ausdruck komplexer Gefühle und Gedanken. Forschungserkenntnisse legen nahe, dass Erfahrungen unvollständig in einer zweiten Sprache ausgedrückt werden (Kokaliari et al., 2013). In verschiedenen Sprachen werden unterschiedliche Werte oder sogar Identitäten gezeigt.
Darüber hinaus steht in manchen psychotherapeutischen Richtungen, wie der psychodynamischen Psychotherapie, die Sprache im Vordergrund (Or-Gordon, 2021).
Was passiert jedoch, wenn die Psychotherapeutin selbst Fremdsprachlerin ist?
In der Schweiz arbeiten 1,812 Millionen Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (Bundesamt für Statistik, 2024). Die genaue Anzahl ausländischer Psychotherapeutinnen ist unbekannt; dennoch ist die Schweiz zunehmend auf sie angewiesen, aufgrund der Unterversorgung in der Psychotherapie (Willi, 2024).
Αusserdem zeichnet sich die Schweiz durch ihre multikulturelle und mehrsprachige Gesellschaft aus. Mehrsprachige Menschen beherrschen und sprechen mehr als eine Sprache (Grech & McLeod, 2012). Laut Sercu (2023) arbeiten Psychotherapeutinnen in mehrsprachigen Umgebungen immer häufiger mit Klientinnen, die eine andere Muttersprache sprechen. Neben den damit verbundenen Herausforderungen könnte dies zusätzlich Bewusstsein und Sensibilität fördern.
Ist Psychotherapie in einer fremden Sprache prinzipiell eher vorteilhaft oder nachteilig?
Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Vielmehr ist es wichtig, das Phänomen näher zu betrachten. Die Perspektiven der Klientin und der Psychotherapeutin sollten ebenfalls berücksichtigt werden.
Wie die Psychotherapie in einer Fremdsprache für die Klientin gelingt
Psychotherapie in einer Fremdsprache zu bekommen, könnte herausfordernd sein, wenn es darum geht, eigene Emotionen auszudrücken. Der Grieche K., 36, der seit ein paar Jahren Psychotherapie auf Deutsch erhält, berichtet: «Feine emotionale Nuancen kann ich auf Deutsch schwerer ausdrücken als in meiner Muttersprache. Mir fehlt der Wortschatz.»
Dennoch kann die Einstellung der Therapeutin dabei helfen, solche sprachlichen Hindernisse zu überwinden. K., 36, berichtet: «Obwohl es manchmal schwierig ist, den Psychotherapeuten zu verstehen, ist er bereit, mir Klarheit zu verschaffen. So fliesst die Therapie weiter. Ich glaube, dass die Persönlichkeit des Therapeuten wichtiger ist als die Sprache selbst.»
Neue Möglichkeiten entstehen, wenn während der Psychotherapie die Sprache gewechselt werden kann.
Eine Studie untersuchte 182 mehrsprachige Klientinnen, die verschiedenen therapeutischen Ansätzen in verschiedenen Ländern ausgesetzt waren (Dewaele & Costa, 2013). Solche Klientinnen profitieren von einem therapeutischen Umfeld, in dem ihre Mehrsprachigkeit geschätzt wird.
Ein Sprachwechsel ermöglicht mehrsprachigen Menschen, sich umfassender auszudrücken und mehr Tiefe zu vermitteln. Beim Besprechen von Trauma und Scham tendieren mehrsprachige Klientinnen dazu, die Sprache zu wechseln. Dies könnte sowohl grössere emotionale Nähe als auch Distanz signalisieren. Es hängt davon ab, welche Sprache sie wählen und wie sie diese in ihrem Erleben einsetzen.
Manche Menschen fühlen sich wohler, wenn sie traumatische Ereignisse in ihrer Nicht-Muttersprache berichten (Dewaele & Costa, 2013). Demzufolge wird das Erzählen weniger emotional geladen und weniger schmerzhaft. Die emotionale Intensität einer Sprache ermöglicht es anderen Menschen, ein traumatisches Ereignis besser zu verarbeiten. Indem sie es in der Sprache beschreiben, in der es geschah, erfahren sie eine Art Befreiung.
Klientinnen wechseln oft die Sprache, auch um Abstand von Schamgefühlen zu gewinnen und sie gleichzeitig besser zu tolerieren (Dewaele & Costa, 2013). K., 36, berichtet, dass ihm die fremde Sprache half, kulturelle Einschränkungen seiner Muttersprache zu vermeiden: «Ich hatte einmal eine Sitzung auf Griechisch. Aufgrund kultureller Vorurteile fiel es mir aber schwer, mich zu öffnen. Auf Deutsch hingegen konnte ich meine Probleme sofort schildern, da ich Offenheit erwartete.»
Die westliche Psychotherapie ist nämlich von kulturellen Werten und Normen geprägt (Cheng & Lo, 1991). Die Psychiaterin Schouler-Ocak (2020) verdeutlicht, wie die Behandlungserwartungen der Klientinnen vom kulturellen Hintergrund und persönlichen Erfahrungen abhängen. Dabei spielen traditionelle Werte und soziale Normen eine entscheidende Rolle. Klientinnen aus individualistischen Kulturen erwarten beispielsweise, dass Psychotherapie ihre Selbstverwirklichung unterstützt.
Des Weiteren kann Psychotherapie in einer fremden Sprache und neuer Umwelt neue Perspektiven eröffnen.
Durch die Aufforderung, kulturelle Aspekte seiner Kultur zu beschreiben, wird K., 36, angeregt, diese genauer zu betrachten: «Indem mein Therapeut klärende Fragen stellt, entdecke ich Bedeutungen meiner Kultur, die mir zuvor unbewusst waren. So erlange ich ein tieferes Verständnis meiner eigenen Einstellungen.»
Zusammenfassend kann Psychotherapie in einer Fremdsprache herausfordernd sein, insbesondere beim Ausdruck eigener Emotionen. Dennoch eröffnet sie neue Möglichkeiten für tiefere Selbstreflexion und Verständnis kultureller Einflüsse.
Wie die Psychotherapie in einer Fremdsprache für die Psychotherapeutin gelingt
Auf der anderen Seite könnte die Psychotherapeutin die Muttersprache ihrer ausländischen Klientinnen sprechen, jedoch nicht perfekt beherrschen. Sprachliche und kulturelle Faktoren können Psychotherapeutinnen daran hindern, sich angemessen um ihre Klientinnen zu kümmern.
Die Ausübung der Psychotherapie in einer Fremdsprache beeinflusst die Rolle der Psychotherapeutin und die therapeutische Beziehung (Or-Gordon, 2021). Dies bringt einige Implikationen mit sich. Konflikte um Fragen der Kontrolle stehen im Vordergrund (Kitron, 1992). Die Psychotherapeutin könnte Schwierigkeiten haben, die Gesprächsführung vollständig zu kontrollieren. Dies könnte zu Missverständnissen führen oder die Klientin könnte sich in der Kommunikation eingeschränkt fühlen.
Allerdings vermitteln mehrsprachige Psychotherapeutinnen oft Empathie (Dewaele & Costa, 2013);
indem sie sich bemühen, die kulturellen Hintergründe und Sprachnuancen ihrer Klientinnen besser zu verstehen. Daher kann die therapeutische Beziehung auch erhebliche positive therapeutische Auswirkungen haben. Die Behandlung wird durch die vermittelte Empathie eher erleichtert wie erschwert.
Laut Sercu (2023) schaffen Psychotherapeutinnen, die die Muttersprache ihrer Klientinnen sprechen, einen gemeinsamen Raum. In diesem Raum können beide Parteien besser kommunizieren und Verständnis aufbauen. Die Aufforderung, Bedenken und Gefühle präziser auszudrücken, könnte zu einer tieferen therapeutischen Beziehung führen.
Es ist erwähnenswert, dass die meisten der Vorväter der Psychoanalyse mehrsprachig waren.
Freud sprach Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Latein, Italienisch, Griechisch und wahrscheinlich auch Hebräisch (Or-Gordon, 2021). Zu einem Zeitpunkt seiner Karriere hatte er hauptsächlich englischsprachige Patientinnen. Weitere Psychoanalytiker wurden zwar auf Deutsch ausgebildet, arbeiteten jedoch mit ihren Patientinnen in verschiedenen Sprachen.
Zuletzt muss ein weiterer oft vernachlässigter Aspekt erläutert werden. Psychotherapeutinnen, die die Muttersprache ihrer Klientinnen als Fremdsprache sprechen, könnten Diskriminierung erleben (Peng et al., 2022). Gelegentlich werden ihre Professionalität, Kompetenz und Glaubwürdigkeit angezweifelt. Wenn Psychotherapeutinnen mit sprachlicher Diskriminierung konfrontiert werden, kann dies oft zu Selbstzweifeln führen. Dies könnte sich negativ auf ihre Beratungseffizienz auswirken.
Wie kann eine Psychotherapeutin wissen, dass ihre Kompetenz infrage gestellt wird wegen ihres Akzents oder grammatischer Fehler?
In solchen Fällen können subtile nonverbale Signale auftreten. Etwa mangelnder Augenkontakt oder zögerndes Verhalten. Ferner wirken diese Klientinnen verunsichert oder distanziert während der Sitzung. Möglicherweise setzen sie eventuell die Sitzungen nicht fort.
Klientinnen könnten sich aufgrund sprachlicher Barrieren nicht vollständig verstanden fühlen. Daher könnten die Qualität der therapeutischen Beziehung und das Vertrauen beeinträchtigt werden. Nichtsdestotrotz bieten sprachliche und kulturelle Faktoren auch Chancen für eine tiefere therapeutische Verbindung und Verständigung. Die professionelle Rolle und die Wirksamkeit der Psychotherapie können durch die Vermittlung von Empathie gestärkt werden.
Lücke in der psychotherapeutischen Weiterbildung
Psychotherapie in fremden Sprachen wird zunehmend notwendig in mehrsprachigen Umfeldern. Dennoch wird derzeit diese Tatsache in der Weiterbildung für Psychotherapeutinnen nicht thematisiert. Für effektive Therapien sollten Psychotherapeutinnen sich ihrer sprachlichen und kulturellen Positionierung bewusst sein. In Zukunft wäre es zusätzlich wichtig, diesen Aspekt in die Weiterbildung zu integrieren. Somit werden sich Psychotherapeutinnen und Klientinnen besser aufgehoben fühlen.
Beitrag von Valentina Triantafyllidou Psychologin in Zürich
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Referenzen
Bundesamt für Statistik. (2024). Ausländische Arbeitskräfte.
Cheng, L. Y., & Lo, H.-T. (1991). On the Advantages of Cross-culture Psychotherapy: The Minority Therapist/Mainstream Patient Dyad. Psychiatry.
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00332747.1991.11024567
Dewaele, J.-M., & Costa, B. (2013). Multilingual Clients’ Experience of Psychotherapy. Language and Psychoanalysis, 2(2), Art. 2. https://doi.org/10.7565/landp.2013.005
Grech, H., & McLeod, S. (2012). Chapter 7—Multilingual speech and language development and disorders. In Communication Disorders in Multicultural and International Populations (Fourth Edition, S. 119–147). https://doi.org/10.1016/B978-0-323-06699-0.00016-9
Kitron, D. G. (1992). Transference and countertransference implications of psychotherapy conducted in a foreign language. Bulletin of the Menninger Clinic, 56(2), 232–245.
Kokaliari, E., Catanzarite, G., & Berzoff, J. (2013). It Is Called a Mother Tongue for a Reason: A Qualitative Study of Therapists’ Perspectives on Bilingual Psychotherapy—Treatment Implications. Smith College Studies in Social Work, 83(1), 97–118. https://doi.org/10.1080/00377317.2013.747396
Or-Gordon, E. (2021). Therapeutic Mother Tongue and its Implications on the Work of Polyglot Psychotherapists. Language and Psychoanalysis, 10(1), Art. 1. http://dx.doi.org/10.7565/landp.v10i1.5324
Peng, Y., Genç, E., Nicholson, B., & Markham, M. S. (2022). Not professional enough to be a therapist: International therapists’ experience of language discrimination. Current Psychology, 41(5), 3225–3235. https://doi.org/10.1007/s12144-020-00848-4
Schouler-Ocak, M. (2020). The Role of Language in Intercultural Psychotherapy. In M. Schouler-Ocak & M. C. Kastrup (Hrsg.), Intercultural Psychotherapy: For Immigrants, Refugees, Asylum Seekers and Ethnic Minority Patients (S. 81–91). Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-24082-0_6
Sercu, L. (2023). Psychotherapy in a shared foreign language. Exploration of psychotherapists’ perceptions of multipleness in the therapeutic interaction. European Journal of Psychotherapy & Counselling. https://doi.org/10.1080/13642537.2023.2277435
Willi, C. (2024). Auswirkungen des Zulassungsrechts auf Psychotherapeut:innen. https://cms.law/de/che/publication/auswirkungen-des-zulassungsrechts-auf-psychotherapeut-innen